Wuhan-Shake und Ebola-Gruß – Virus ändert Etikette

München/Berlin – Ellbogen statt Küsschen? Faust statt Umarmung? Seit sich das neuartige Coronavirus Sars-CoV-2 ausbreitet, grüßt man sich anders. Weltweit kommen mit der Pandemie wegen der Ansteckungsgefahr Etikette und Rituale auf den Prüfstand.

Händedruck ist out. Ärzte raten zu häufigem Händewaschen und weniger körperlicher Nähe. Auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hielt sich daran – und wies die Hand von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zurück. Und mancher mag froh sein, derzeit Donald Trump den Handschlag verweigern zu können – der tätschelnde «Trumpshake» ist berüchtigt.

Die Menschen suchen nun nach passenden Alternativen.

Prinz Charles probierte es mit dem indischen Gruß «Namaste»: Hände aneinandergelegt und eine kleine angedeutete Verbeugung. Andernorts legen Politiker die Hand aufs Herz – oder nicken sich zu.

«Es gibt unendlich viele verschiedene Begrüßungsformen», sagt die Verhaltensbiologin Imme Gerke, die unter anderem interkulturelle Schulungen anbietet. Sie selbst beherrsche allein 20 Formen – und suche aus, was passend sei. «Dann stellt sich die Frage nach dem Handschlag gar nicht mehr. Das ist das, was wir heute unter Vielfalt verstehen.»

Nicht angezeigt ist derzeit die Berührung mit der Stirn oder der «Nasenkuss» bestimmter Völker – und auch die Bussi-Gesellschaft muss sich vorerst zurücknehmen. Im Internet kursieren dafür Videos, in denen sich Leute beim «Wuhan-Shake» oder «Foot-Shake» zur Begrüßung mit den Füßen einen Kick geben oder sich berührungsfrei die Hände nur angedeutet in der Luft reichen.

Weil Patienten schon vor den ersten Symptomen ansteckend sein und Viren an den Händen haben können, empfehlen Fachleute den grundsätzlichen Verzicht auf den Händedruck. «Jeden unnötigen Kontakt sollte man zurzeit vermeiden», sagt Petra Gastmeier, Leiterin des Nationalen Referenzzentrums (NRZ) für Surveillance von nosokomialen Infektionen in Berlin.

Die Übertragung geschehe, wenn man sich anschließend mit den eigenen Händen in sein Gesicht fasse, erläutert der Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene DGKH, Peter Walger. «Die Viren, die an den Händen kleben, trägt man dann in die Schleimhäute der Nase, der Augen oder des Mundes.» Wie viel Prozent der Coronavirus-Infektionen über den Handschlag übertragen werden, könne allerdings niemand sagen.

Aber es geht um mehr:

Wer Hände schüttelt, ist dem anderen nah – und hier droht eine weitere Gefahr: Tröpfcheninfektion. «Das Händeschütteln zu untersagen, macht nur Sinn, wenn man den Abstand von ein oder besser zwei Metern einhält», sagt Walger. «Schon allein um diesen Abstand einzuhalten, schüttelt man nicht mehr die Hände.»

Damit ist jede nahe Begrüßung auch ohne Hautkontakt keine Lösung. «Auch von Umarmungen – als Alternative zum Händeschütteln – würden wir derzeit abraten», heißt es etwa beim Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL).

Walger ruft zur Besonnenheit und verantwortlichem Verhalten auf. «Wir sollten anerkennen, dass wir eine grassierende Infektion haben, eine Ausbreitung eines Erregers, der sehr viele Menschen betreffen wird.» Eine Priorität müsse sein, die zu schützen, die schwer krank werden könnten: Alte und Kranke. Wer eine Infektion habe, solle aus Rücksicht auf andere den Kontakt reduzieren. Ein einfacher Mundschutz helfe praktisch nicht gegen eine eigene Infektion, könne aber die anderen schützen, wenn man krank sei. Anstelle eines Mundschutzes, derzeit ohnehin ausverkauft – tue es auch ein Schal oder ein Tuch – «alles, was die Tröpfchenverbreitung verhindert».

Vielleicht gehört das künftig zum guten Benehmen:

Mundschutz bei Erkältung. Beim Gruß hat sich bisher noch kein neuer Ritus durchgesetzt. Oft gesehen ist die Namaste-Geste. Doch dafür braucht man beide Hände – schwierig und wenig elegant, wenn man eine Tasche oder ein Handy in der Hand hält. Nur Lächeln wiederum könne missverstanden werden als ein «Du gefällst mir», meint Gerke.

Gerkes favorisierte Alternative der Coronavirus-angepassten Begrüßung ist die offene Hand auf dem Herzen. «Das wird auch bei vielen arabischen Völkern so gemacht.» Es sei oft die Antwort darauf, dass sich Männer und Frauen nicht berühren sollten. «Das wäre doch jetzt eine ideale Begrüßung.» Es sei eine menschlichere Geste als der Faustgruß, den viele Firmen derzeit propagieren und mit dem Barack Obama lässig unter anderem im vergangenen Jahr die Grünen-Fraktionschefin in Bayern, Katharina Schulze, begrüßte.

Zwar dürfte der Faustgruß – auch als «Fist Bump» oder «Ghettofaust» bekannt – an sich virenfreier sein als der Händedruck. Doch der Zwei-Meter-Abstand ist dabei kaum einzuhalten.

Dasselbe gilt für den Ebola-Gruß, den Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) schon praktizierte: Dabei berühren sich nur die Ellbogen. Auch der Sänger Howard Carpendale nutzte diese Grußart am Donnerstag bei einer Pressekonferenz. «Ich habe viele Leute getroffen, die sich Ellbogen an Ellbogen begrüßen. Aber es gibt weltweit so viele Begrüßungsformen – da muss man nicht den Ellbogen erfinden», sagt Gerke.

Die Verhaltensbiologin, die unter anderem bei dem Forscher Irenäus Eibl-Eibesfeldt lernte, hat noch einen Vorschlag, der bisher kaum genannt wird, nach ihrer Aussage aber weltweit über die Kulturen hinweg verstanden wird: «Es gibt eine Begrüßungsform, die allen Menschen und auch den Primaten angeboren ist: Das Hochziehen der Augenbrauen.» Auch kleine Kinder reagierten so. Sich gar nicht mehr zu begrüßen, wäre laut Gerke die schlechteste Idee. Denn: «Die Begrüßung ist ein aggressionshemmender Mechanismus.»

Fotocredits: Bernd Thissen
(dpa)

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